timecaps.net (2): Bildagentur und »fotografisches Gedächtnis«

Auf die MusikTriennale 2010 habe ich mich schon gefreut, seit ich im Februar das wunderbare Programmheft in die Finger bekam. Ich war ja nicht nur vom Inhalt, sondern vor allem von der Gestaltung und den vielen herrlichen Fotos von timecaps.net, der Bildagentur für gefundene und historische Alltagsfotografie, so begeistert, dass ich gleich einen Blogbeitrag darüber geschrieben habe. Ebenso gespannt war ich natürlich auch auf das Eröffnungskonzert am 24. April, das mir, wie sich herausstellen sollte, ein Wechselbad der Gefühle bescherte.

Flyer timecaps.netZuvor schlenderte ich aber am Eröffnungsabend durch das Foyer der Kölner Philharmonie und entdeckte – nicht gerade prominent positioniert – ein paar weiße Stellwände an deren Front ich das timecaps.net-Logo entdeckte. Kaum hatte ich einen neugierigen Blick auf die ersten der dort ausgestellten Bilder geworfen, drückte mir auch schon jemand mit strahlendem Lächeln einen Flyer (s. o.) in die Hand. Auf meine Frage, ob er etwas mit der Agentur zu tun hätte, stellte er sich als einer der Inhaber, Christian Schneeberger, vor. Woraufhin ich ihm verriet, dass ich ja schon über timecaps.net gebloggt hätte.

Kaum war dieses Zauberwort gefallen, drehten sich zwei weitere Köpfe nach mir um und ich wurde als »die Bloggerin« auch von Jörg Hejkal, dem zweiten timecaps-»Agenten«, und Designerin Hida Bicer aufs Herzlichste und mit großem Hallo begrüßt. Die drei hatten sich, wie sie versicherten, sehr über meinen Blogbeitrag gefreut. Allerdings »in aller Stille«, da sie sich nicht getraut hatten, ihre Freude in einem Kommentar zum Ausdruck zu bringen.

Ich war natürlich ebenso erfreut, nach der virtuellen Begegnung mit timecaps.net nun nicht nur die Bildschätzchen, sondern auch gleich die Schatzsucher »live und in Farbe« kennenzulernen. Jörg Hejkal führte mich sofort mit ansteckender Begeisterung durch die Ausstellung, bei der 50 Fotografien aus der insgesamt 90 Bilder umfassenden limitierten »edition timecaps.net collection« zu sehen sind. Als hochwertige Lambda-Abzüge im Format 30×45 cm kommen sie ganz großartig zur Geltung.

Allerdings bekommt sie leider nur zu sehen, wer während der MusikTriennale (noch bis zum 16. Mai) ein Konzert in der Kölner Philharmonie besucht*. Das alleine ist ja schon ein lohnender Grund, und die Auswahl an interessanten Konzerten ist wirklich groß. Und zudem kann man jetzt mit nur einer Philharmonie-Konzertkarte gleich einen dreifachen Genuss erwerben: für’s Ohr, für’s Auge und für die Seele. Jedenfalls habe ich das so empfunden.

Mich haben die ausgewählten Fotografien sehr angerührt. Viele rufen ein spontanes Lachen hervor, manche eher das gegenteilige Gefühl, alle aber regen zum Nachdenken an. Darüber, dass diese Amateurfotografien Zeugen und Spiegel ihrer Zeit sind. Die Menschen, die sie knipsten, haben besondere Momente festgehalten. Meistens für sich, nicht für die Öffentlichkeit und nicht für die Nachwelt.

Als fotografisches Gedächtnis sind diese Amateurfotos allerdings auch für uns von Bedeutung. Sie erzählen von Liebe, Leid, Abenteuern, Tabus, von Freundschaft und längst vergangenen Zeiten. Sie bilden eine Brücke in die Vergangenheit, in der die Menschen unbefangen wirkten und ihre offensichtliche Freude an der Selbstinszenierung auslebten. Wenn wir auch nicht wissen, wer die Abgebildeten sind oder wo die Fotos gemacht wurden, zeugen sie doch von menschlichem Leben und Erleben, das uns zum Teil weit entfernt, in anderen Fällen jedoch (leider) auch wieder sehr nahe scheint. Zumindest geht es mir so, wenn ich das Familienfoto betrachte, auf dem der Sohn in Uniform schon fast durchsichtig scheint, als sei er im Moment der Aufnahme schon nicht mehr ganz unter den Lebenden gewesen.

Automatisch hatte ich dabei die letzten Zeilen von Paul Simons Lied »Bookends« im Ohr: »Bewahre deine Erinnerungen, das Einzige was dir bleibt«.

»Time it was,
And what a time it was
It was …
A time of innocence
A time of confidences

Long ago it must be …
I have a photograph
Preserve your memories
They’re all that’s left you«

Christian Schneeberger und Jörg Hejkal, die beiden »(Foto-)Verrückten« von timecaps.net, haben vor 10 Jahren begonnen, diese festgehaltenen Momente, die den Menschen damals etwas bedeuteten, als »fotografisches Gedächtnis« für uns alle zu archivieren.

Vor lauter »Sehensfreude« bin ich an diesem Abend allerdings gar nicht dazu gekommen, meine Fragen an die beiden loszuwerden: Zum Beispiel wann und wo die Idee zu timecaps.net geboren wurde, ob es außer den anonymen Fotos auch welche gibt, deren Hintergrund sie kennen und für welche Projekte ihre Bilder angefragt werden. Das habe ich aber kurz darauf per E-Mail nachgeholt. Und Christian Schneeberger hat mir dankenswerterweise auch bereits ausführlich geantwortet. Sogar so ausführlich und spannend, dass seine Antworten für einen weiteren Beitrag reichen, der bald folgen wird.

* Im Internet ist die »edition timecaps.net collection« dagegen für alle 24 Stunden am Tag und 7 Tage die Woche zu besichtigen und käuflich erwerben lassen sich die Bilder dort ebenfalls.

PS: So, lieber Christian, lieber Jörg! Ihr wisst, diesmal gibt’s keine Ausrede mehr für vornehme Zurückhaltung! Ran an die Tasten, wenn ihr mir etwas sagen möchtet ;-)

4 Antworten zu “timecaps.net (2): Bildagentur und »fotografisches Gedächtnis«

  1. Liebe Birgit

    ich finde es fantastisch wie Du Erlebtes durch Schreiben nacherlebbar bebilderst mit Worten – und irgendwie verstehe ich dadurch dass auch Bloggen und Schreiben eine Art von „timecapseln“ ist – das Bewahren von schönen Begegnungen und an andere das weiter geben zu können – ganz ganz herzlichen Dank

    • Gern geschehen, lieber Jörg, und vielen Dank für das schöne Kompliment! So hab ich das Bloggen noch nie gesehen, als »timecapseln«. Das gefällt mir und klingt auch viiiel besser als bloggen ;-)

  2. liebe birgit
    wow coole sache ! was kann ich da noch hinzufügen…“timecapsel“ doch bitte weiter so, freue mich schon auf die fortsetzung. es ist einfach schön zu sehen, dass wir dich und andere leute mit unserer fotoauswahl berühren und sie eine neue vergangene welt entdecken lassen können. übrigens sind wir die letzten drei tage der triennale wieder vor ort, freue mich auch auf ein wiedersehen und viele neugierige gewordene blogger, vielen dank und alles liebe christian

    • Apropos »vergangene Welten entdecken«, lieber Christian: Je länger und öfter ich eure Bilder betrachte, desto mehr inspirieren sie die Autorin in mir, den »Namenlosen« (wieder) eine Geschichte zu geben. Vielleicht stehe ich demnächst mit einem Kurzgeschichtenband zu euren Bildern auf der Matte … Bis nächste Woche schaff ich’s aber eher nicht ;-) Dafür könnte es aber mit dem »timecapseln« von Folge 3 der Serie über euch bis dahin klappen und ich schau auch mal, ob sich an den letzten Triennale-Tagen ein Wiedersehen einrichten lässt. Wir bleiben in Verbindung ;-)

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